Frei und Illusionslos
Zum Leben auf der Eleonore
Die Eleonore ist ein ehemaliges Wohnschiff und liegt fest vertäut im Winterhafen von Linz. Das Schiff verfügt neben zwei Schlafkabinen, einem Vortragssaal und einer Kombüse, über die legendäre Gemeinschaftskajüte. Es ist die Enge, die Vertrautheit und der Alkohol, der die Phantasie beflügelt und zu den unglaublichen Geschichten, dem berühmten Seemannsgarn, in einer eben solchen Kajüte führt. Es sind jene Erlebnisberichte und Geschichten von Seeleuten im Grenzbereich zwischen Wahrheit und Phantasie die alle etwas undurchsichtig dafür aber glaubhaft-eindrucksvoll sind. Die Seeleute der Eleonore bezeichnen sich selbst als Donauten. Ihre Schicksalsgemeinschaft ist die, derjenigen, die auf der Donau fahren, analog zu den Argonauten, die in der griechischen Mythologie auf der Suche nach dem goldenen Flies auf dem Schiff Argo segelten. Die Schiffsführer der Eleonore sind Franz Xaver und Taro.
Im Gespräch mit Franz Xaver wird jedoch schnell deutlich das die Eleonore keine simple Schlaf- und Arbeitsstätte ist die für das einfache Leben plädiert und einen Gegenentwurf zum gegenwärtigen Kunstsystem bietet. Vielmehr gehe es um Messungen und um das Wesen der Information. Franz Xaver sagt dies mit der stoischen Überzeugung eines Wissenden, die keinen Zweifel duldet und keinen Widerspruch erträgt. Selbst der geschulte Zuhörer begreift die Tragweite des Gesagten erst im Verlauf seiner Anwesenheit. In der Kajüte spricht der Schiffsführer immer wieder vom Wesen der Information. Die Information sei per se kontaminiert durch die Interessen desjenigen, der sie zum Ausdruck brächte. Dies gälte auf alle Fälle und immer. Die Ordnung der Dinge wie sie Michel Foucault schildere, begänne bereits vor ihrer Erzählung, so erläutert er. Sie begänne mit der Entstehung von Information quasi im prähistorischen Urzustand. Diskursanalyse sei daher keine vorsorgliche, sondern nachträgliche Therapie. Es gälte die Information in ihrem Urzustand zu fassen und zu messen. Alles begänne mit dem Spiegelbild des Menschen im Wasser. Hier entstünde die erste künstliche Information. In der Kajüte sitzend schweifen meine Gedanken ab und ich versuche mir eine solche Information vorzustellen.
Ich schaue mir den Schiffsführer an, stelle mir vor wie er noch einmal auf große Fahrt geht. „Der alte Mann und das Meer“ ... Eine von Ernest Hemingway auf Kuba geschriebene Novelle, die 1952 erstmals veröffentlicht wurde. Die Geschichte erzählt von dem epischen Kampf zwischen einem alten, erfahrenen Fischer mit einem gigantischen Schwertfisch. Schließlich gewinnt der Fischer den Kampf mit dem Fisch und tötet ihn. Auf der Heimfahrt wird der Fisch jedoch durch Raubfische gefressen, so dass der Fischer nur dessen Gerippe in den Hafen überführt. Er hatte zwar beweisen können dass er noch erfolgreich Fischen konnte, aber er konnte die Beute nicht mehr sicher ans Land bringen. Ein Vergleich mit den Medienkünstlern der siebziger bis frühen neunziger Jahre bietet sich an. Sie hatten von den Möglichkeiten heutiger Medien geträumt und für sie gestritten. Heute stehen sie jedem X-beliebigen selbstverständlich zur Verfügung. Sie konnten den Fisch fangen, aber nicht an Land bringen. Auf dem Weg haben ihn die Raubfische bis aufs Gerippe ausgeschlachtet und so stehen sie mit dem Ruhm aber ohne eigentlichen Fang im Hafen. Wenn Franz Xaver von der Kunst spricht, ist es so als ob Santiago, der alte Fischer, von seinem Schwertfisch spricht. Der alte Fischer träumt von Löwen an einem afrikanischen Strand, Franz Xaver träumt von der Messbarkeit der Information im Urzustand. Diese sympathische Romantik erfährt einen Abgleich mit der Gesellschaft. Die Überflussgesellschaft, deren dekadenter Auswuchs ein postmodernistisches Kunstgebaren vieler ist, neigt sich ihrem Ende. Den auf traditionelle Art zu fangenden Fisch gibt es nicht mehr. Die industrielle Überfischung der Meere hat einerseits ihn, den Fisch, ausgemerzt und hat andererseits ihn, den einzelnen Fischer, isoliert. Der traditionelle Fischer wurde als Romantiker abgetan. Seine Bescheidenheit, sein Fleiß und sein Ethos galten als sentimental. Man wollte nicht mehr mit ihm fischen, da er gegen die Fangindustrie und ihre engmaschigen Netze anfischte, ohne einen erkennbaren Erfolg im Sinne der Fangquote nachzuweisen. Der Unterschied war der, das er sich mit der Natur im Einklang wusste. Er hat nie den Respekt vor der Natur und der Fertigkeit des Fischens verloren. Jetzt gibt es keine Fische mehr in Küstennähe und die Fischer auf ihren Industrieschiffen sind nicht nur arbeitslos, sondern können nicht einmal zurück zu den traditionellen Methoden des Fischens. So ähnlich ist es mit der Medienkunst und der Kunst im Allgemeinen. Mit der Kulturindustrie ist der Respekt vor der Kunst und dem traditionellen Künstler verloren gegangen. Alles was sich nicht kapitalistisch verwerten, auswerten und umsetzen lässt wird als sentimental, ja sinnlos abgetan. Das Resultat ist die vollständige Banalisierung des Kunstwollens und Kunstmachen bis hin zu der spät- postmodernistischen Farce in der sich das Kunstsystem seitdem befindet. Es ist wie mit dem traditionellen Fischer, selbst wenn einige Fischer wieder so zu fischen begännen, es gäbe keine Fische mehr. Bei den Fischern besteht anders als in der Kunst jedoch berechtigte Hoffnung, dass es in einigen Jahren wieder Fische geben könnte. Auf der Eleonore gibt es nur den traditionellen Weg, fernab vom Spektakel des Kunstbetriebs völlig unspektakulär.
Jeden Montagabend wird auf der Eleonore die Welt verbessert und keine Kunst gemacht. Weltverbesserung ist die Parole der Donauten. Hierbei vermitteln sie ein Gefühl von Gemeinschaft, das jenseits des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Überlegenheitspathos für einen Weg des gedanklichen und kulturellen Austausches auf Augenhöhe plädiert. Sie verkörpern ein Bewusstsein, das Künstler und Kulturanthropologen, genauso einbindet wie traditionelle Handwerker und Schiffsbauer mit ihren schiffsspezifischen Fertigungstechniken und Bauweisen. Das Ergebnis solcher kollektiver Denkprozesse ist immer die Bricollage. Der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss stellte den Begriff Bricollage 1962 in seinem Konzept des „Wilden Denkens“ vor und versteht ihn als das „Nehmen und Verknüpfen, von dem was da ist“. Für ihn beschreibt er die nicht vordefinierte Reorganisation von unmittelbar zur Verfügung stehenden Zeichen beziehungsweise Ereignissen zu neuen Strukturen. Diese Haltung wird durch die Eleonore und die Donauten verkörpert.
Die Donauten schaffen einen gesellschaftlichen Freiraum. Einen Freiraum, der an den Film „Der Mann ohne Vergangenheit“ des finnischen Regisseurs Aki Kaurismäki denken läßt. Ein „modernes Märchen“, das mit dem gemeinsamen Glück der beiden Protagonisten endet. Der Film zeichnet einfühlsam mit humanistischem Grundton, Situationskomik und Lakonie das Leben in einem gesellschaftlich nicht geregelten Freiraum nach. Er beschreibt die Schwierigkeiten jenseits der gängigen gesellschaftlichen Konventionen zu leben und zu überleben. Er schildert formal durch satte, warme Farben und eine wunderbare Musik, das dieses freie und illusionslose Leben, trotz der gesellschaftlichen Paradigmen möglich ist. Eine Geschichte wie ein modernes Märchen geeignet als Geschichte für die Montagabende. Die Welt ist besser als wir erwarten, da wo wir es am wenigsten erwarten. Es ist das gute Gewissen das richtige mit den gegebenen Mitteln zu tun.
1 Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft. Erster Band. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1983. S. 309.
2 Vgl. Karl-Wilhelm Weber: Diogenes. Die Gedanken und Taten des frechsten und ungewöhnlichsten aller griechischen Philosophen. 4. Aufl. München: Nymphenburger, 2003. S. 107.
3 Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft. Erster Band. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1983. S. 313.
4 Manuskript aus dem Jahr 1965 mit dem Titel „Some Beliefs On Man, In Man, For Man“. Deutsche Erstveröffentlichung in: E. Fromm, Humanismus als reale Utopie. Der Glaube an den Menschen, hg. von Rainer Funk (Schriften aus dem Nachlass, Band 8), Weinheim (Beltz Verlag) 1992, München 1996, S. 113-119
5 www.braungart.com /backgrndDE.htm
6 Azby Brown: Just Enough. Lessons in Living Green from Traditional Japan, New York 2010. Azby Brown is director of „The Future Design Institute“. It is an independent research laboratory at the University of Tokio established by the Kanazawa Institute of Technology in 2003 to investigate the changing nature of communication in the home environment, creativity, and design strategies for the future. It brings together artists, scientists, creators, and thinkers from many disciplines for collaborative research and discussion. http://wwwr.kanazawa-it.ac.jp/fdi/FDI/FDI_Home.html
7 http://www.justenoughjapan.com/JustEnough/HOME.html; Malcolm Gladwell: The Tipping Point – How Little Things Can Make A Big Difference (2000) dt. Der Tipping Point (2002)