Afloat A Boundary - Nennen wir's doch Happening

Afloat A Boundary: Nennen wir's doch Happening

 

Das Messschiff Eleonore ist ein schwimmender Arbeitsraum. Es ist aber auch Objekt und Projekt für sich selbst. Welche Art von Darstellung und performativen Akten sind hier möglich? Eine Annäherung dazu über die Residency "Afloat A Boundary".

 

"Afloat A Boundary" ist der Titel der Residency von Maruska Polakova, Nanouche Oriano und Miriam Vellacott - eine Residency, die sich aus den Hintergründen von Interface Culture, Puppetry, Bewegungstheater und Butoh-Tanz speist. Ein kurzer Zweizeiler umreißt das Arbeitsvorhaben der Gruppe so: "A moored ship is a strange dormant creature, a curous stranded whale, lingering on the boundary between land, water and air. She lies still, in contemplation, yet she travels with those who come to enjoy her presence."

 

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Die Künstlerinnen behandelten während der Residency und im Rahmen der Abschlusspräsentation unter einem poetisch-kreatürlichen Aspekt das Schiff und seine Bewohnerinnen, was meint: Mit einem bestehenden Arbeitskonzept setzte man sich mit Vorgefundenen auseinander, mit sich selbst als Residency-Teilnehmerinnen auf dem Schiff, und am Rande auch mit den BesucherInnen, die sich auf der Eleonore einfinden. Ganz generell kann man über die Grundstimmung dieser Residency sagen: Phantasie ist hier kein Tabu, sondern Ausdruck eines undefinierbaren „Urgrundes“, aus dem sich unerwartete Impulse hocharbeiten – wie aus einem Schiffsbauch oder aus den Tiefen des Wassers. Was in der Herangehensweise während des Aufenthalts zunächst wie Spielerei aussieht, erweist sich unter Umständen als dadaistisch-surrealistische Technik, Dinge hervortreten zu lassen. Puppetry und Mime wurde zu einem Medium, das Kreaturen zum Leben erweckte. In zitathafter Weise wurde Vorgefundenes installiert – zu so benannten „Treasures“. Media-Art wurde kurzerhand zu „Media-Art unplugged“ umdefiniert, als Minimalvariante von Kommunikation und des in Verbindung-tretens. Butoh-Tanz wurde im Kern behalten, als Verfahren, Bewegung in der Umgebung so zu definieren: Enter it, and let it enter you.

 

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Im großen Bogen betrachtet: Am Anfang der Residency stand eine Einladung, „Dinge zu bringen, die man nicht mehr braucht“, um diese verarbeiten zu können. Das beinhaltete Recycling-Materialien wie auch Geschichten vom Leben auf dem Wasser. Am Ende stand eine Präsentation, die man wohl am ehesten als prozesshafte Zwischenstation der Auseinandersetzung, als zeremonielles Happening bezeichnen kann – inklusive einer installativen Inszenierung von realen Dingen und archetypischen Kreaturen; und inklusive von nächtlichen Wunschformulierungen an die Kreaturen, die zuerst am Schiff leben und danach vom Schiff wieder ins Wasser gehen.

 

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Ein wesentlicher Punkt der Auseinandersetzung war, dass das Schiff in der Thematisierung sozusagen die vierte Person im Bunde darstellt - das passiert in der oben anskizzierten Weise. Aber, außerdem: An einem Ort zwischen Natur und Industrie, als nachhaltiges System und Organismus für sich selbst, das in Energie- und Wasserhaushalt von seinen BewohnerInnen im Auge behalten werden muss, stellt dies nicht nur einen symbolischen, sondern einen realen Umstand des aufeinander-Bezogenseins dar. Das ist insofern interessant, als dass sowohl Schiff und Umgebung ein sitespezifisches Arbeiten beinahe aufdrängen. Auf Seiten der Programmierung der Residencies wird aber auch die Frage gestellt: Wenn man das Schiff nicht ausschließlich als schwimmenden Arbeitsraum definiert (was man zweifelsohne auch tun kann), sondern als Kunstobjekt für sich, das größere Fragen danach stellt, wie wir leben wollen, wie wir arbeiten wollen, dann ist auch die Frage damit verbunden: Welche Art der Darstellung, welche Art des Performativen ist hier möglich, in einer anderen Lebensumgebung, unter anderen Bedingungen, sozusagen in einem Entwurf des Anderen. Denn klar ist, dass dieser Mikrokosmos vielleicht ein Ort des Recycling, des Umbaus ist, und durchaus auch ein sozialer Ort, aber sicher nicht der üblichen Produktion und Reproduktion.

 

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Der Ort setzt andere Prozesse frei – das ist die Behauptung. Welche Art von Prozessen/Inhalten dies sind – diese Fragestellung bildet sozusagen die größere Klammer. Mit den tanz- und körperbezogenen Residencies auf der Eleonore wird jedenfalls auch eine Frage nach dem Begriff des performativen Arbeitens, Agierens und der Definition von Wertigkeiten gestellt – und das bedeutet insgesamt andere Parameter der Auseinandersetzung und andere energetische Felder, die je nach Projekt verschieden sind. Bei „Afloat A Boundary“ bedeutete das in gewisser Weise eine spielerisch-poetische Schatzsuche – in einer merkwürdigen Ambivalenz von Reduktion und beinahe messiehaften Überfließens, jedenfalls aber vor dem Hintergrund des Recyclings und der Eigenkreation. Die Ergebnisse muten teilweise beinahe märchenhaft an, sind aber in ihrer Verwertung trotzdem nicht aus der Zeit gefallen, bleiben in ihrer Inszenierung unerwartet. In diesem Sinne wurde diese Präsentation eines 10-tägigen Prozesses intern als zeremonielles Happening betitelt: Es wird kein fertiges Produkt geboten, keine Performance im engeren Sinn, keine „Show“ jedweder Art, sondern die Momentaufnahme von Anwesenheiten, von Zusammenkunft, bis zum Schluss offen.

 

 

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Ein PS, quasi als atmosphärischer Exkurs, als kurze Geschichte zum Abschluss: Sie wurde in den ersten Tagen des Zusammensitzens am Schiff von den Künstlerinnen erzählt, die einst die Prager Kathedrale besucht und sie von dort mitgebracht haben. Vielleicht ist die Story etwas hochgegriffen, sie ist andererseits wenig bekannt: Arcimboldo, der im 16. Jahrhunderts am Prager Hof Feste ausgerichtet hat, war nicht nur Maler, sondern auch Bildhauer, Ingenieur, Architekt, etc. Er wurde auch besonders für seine Inszenierungen geschätzt - eine davon war: Arcimboldo hat in einem Raum Tulpen aufgestellt, die zu dieser Zeit unglaublich kostspielig waren (und als Spekulationsobjekt zum ersten Börsencrash der Geschichte geführt haben). Die Tulpen wurden von lebenden Schildkröten umkreist, auf deren Panzern Kerzen angebracht waren – das Kerzenlicht warf sich langsam bewegende Schatten in den Raum. Man mag das etwas exzentrisch finden, man mag den Zusammenhang mit diesem Projekt etwas pathetisch finden, auf jeden Fall scheint diese Erzählung einer Inszenierung in vielerlei Hinsicht sehr heutig. Sie scheint auch zur Stimmung der Residency gehörig, weil sie, wenn auch gebrochen, eine Essenz eines atmosphärischen Wollens umreißt: Die poetische Inszenierung, der andere Zeitfluss, die Fragestellung nach dem Wert der materiellen Mittel.